Klang

7. Dezember 2012

Die dreisamen Fechter

Mama, wenn ich alt bin, hab ich dann die Beatles immer noch lieb? Oder muss ich dann klassische Musik hören? Eine sehr wichtige Frage, die ich Mama da in der Küche stelle, ungefähr mit zwölf. Ihre Antwort ist großzügig. Natürlich darfst du alles hören, was du magst. Immerhin deutet sie die Möglichkeit an, dass es auch klassische Musik sein könnte.

Jetzt sieht es so aus, als würde ich alt. Nicht, dass ich keine Beatles mehr höre, keinen Britpop mehr mag. Aber es könnte sein, dass mich der beat nicht mehr so anmacht, das Herumschlagen auf Klangkörpern. Neulich hatte ich mal versucht auszugehen; dort im Keller einer ehemaligen Schule, im Mädchenklo gibt es einen Verein, der sich netten Klängen widmet. Man läd junge MusikerInnen aus skandinavischen Ländern ein oder Island, solche mit glockenschönen Stimmen, Geigen, Celli, Gitarren, Zimbeln oder Instrumenten, die so ähnlich klingen, und interessante Perkussionsobjekte haben sie auch dabei. Die kleine Bühne bietet wenig Platz und auch das Publikum kuschelt sich ein auf Gebrauchtsofas, schnell ist die Luft veratmet, der Klang schrebbelt von Wand zu Wand zu Deckengewölbe und eigentlich könnte das alles schön sein, aber ich muss nach dem dritten Stück sofort raus. Ich kann plötzlich nichts mit dem anfangen, was die jungen Damen da performen, und ich möchte auch nicht eng an eng stehen und all das Sehnen und Aufmerksamkeit-Heischen mitbekommen, das jüngeren Menschen eigen ist und mir fast nicht mehr.

Also habe ich angefangen, klassische Musik zu hören. Auf spotify öffnet sich für mich jetzt ungehemmt die Welt der, sagen wir, über Hundertjährigen, aber eigentlich war damals mit zwölf 40 schon steinalt. Mit Chopin habe ich angefangen, Klavierkram, aber gestern Nacht… Eric Satie, empfahl die Leserin neulich. Gut, Satie. Spiel mir alles, sagte ich zu spotify. Erik Satie ist der mit den kleinen Echotönen am Ende einer Zeile und den beinah disharmonischen Skalen, den mixolydischen, aeolischen, phrygischen, und wie sie alle heißen, und diesen kurzen aufatmenden Entlassungen in die waldrauschende Sommerfrische und wieder zurück ins aufregend Atonale*. Wahnsinn. Ganz besonders schön bei der Gnossienne No. 4: Lent, die mein Herz dann vollends entrücken ließ.

Wegen der ganzen französischen Namen, die ich nicht verstehe, träume ich, nachdem ich endlich eingeschlafen bin, von Les Troisieme Escrimeurs, den Dreisamen Fechtern. 'Troisieme' stimmt so nicht und escrimeurs muss ich nachschauen. Es sind eigentlich zwei, die fechten mehr schlecht als recht auf einer holperigen Bühne, es geht auch nicht um die Qualität ihres Fechtens. Ich knipse ein langweiliges Foto und will mich schon abwenden, aber in dem Moment, indem ich auslöse, hören sie auf zu kämpfen, springen von der Bühne und gehen anderen Lustbarkeiten nach. Ich folge ihnen, jetzt doch mit Neugier, und oh, wie sehr sie mich willkommen heißen als eine der Ihren! Es wird klar, ich bin die fehlende Dritte, La Troisieme, die Beobachterin. Ohne mich sind sie nichts, ihr Kampf wertlos und ihre Degen ohne Kraft.

* Atonal stimmt ja nicht, denn es klingt, und zwar herrlich!
29. November 2012

Lesen, lesen, lesen.

Mittlerweile bin ich wieder umgeben von Bücherstapeln. Neben dem Bett, rings um's Sofa. Ich lese viel, online, offline. Während der Jahre, in der ich mit Musik beschäftigt war, habe ich praktisch nichts gelesen. Da war nichts, was Interesse wecken konnte. Wahrscheinlich habe ich Brillantes verpasst, das lässt sich nachholen. Die Sprache bedeutete mir nicht mehr viel, es war nun die Musik, die ich kennen wollte, ich nahm Gesangs- und Bassunterricht mit einem Haufen Theorie über Skalen, Harmonien und Tönen und gab Unmengen Geld für Instrumente und equip aus, schrieb Songs, die ich daheim im Schlafzimmer aufnahm, alle möglichen Leute homerecordeten zu der Zeit ihre eigene Musik, es entstand eine eigene Musikrichtung mit entsprechendem Namen, und romantische Filme gab's im Kino mit selbstgemachter Musik von jungen, gitarreklampfenden Frauen mit unausgebildeten, aber charmanten Stimmen. Das ist gar nicht so lange her, aber irgendwie lange vorbei.

Jetzt lese ich wieder. Viel und schnell. So schnell, dass ich 100 Seiten lang nicht merke, dass ich das Buch, das quer im Regal und anscheinend zum Lesen bereit lag, schon gelesen hatte diesen Sommer. Tschik hab ich gelesen, und wieder so schnell, man muss es schnell lesen, weil es atemlos geschrieben ist, und dadurch merkt man nichts von seiner romantischen Qualität. Leider. Ich werde es nochmal lesen. Langsamer.

Und jetzt Imperium. Ein bisschen schlau hab ich mich machen müssen, das Buch ist ja herrlich umstritten, sogar der Buchladen von M., der Leserin, hat es nicht vorrätig, eben wegen der vielen Kritiken, das sei ihnen zu blöd – und mir egal, denn als ich Christian Krachts Dankesrede zum Wilhelm-Raabe-Preis höre, denke ich mir, wer so spricht und nochmal eben mit links zum Mahabharata ausholt, kann nichts Böses meinen, und jetzt les ich's halt und berausche mich an den unglaublichen Sätzen dieser seltsamen Erzählung.

Das erste Kapitel mit der Schiffsfahrt wiederum erinnert mich an einen Song den ich geschrieben habe, ich will jetzt nicht komponiert sagen, das klingt so unbescheiden, aber es ist natürlich komponiert. Gesang und Gitarre. Die lyrics bestehen aus einem von etlichen Tagebucheinträgen, die ich eine Figur namens Aurora unter dem Titel Grünes Land schreiben lassen wollte, welche in einer fiktiven Zukunft nach Der Großen Flut auf einem Frachter über die Weltmeere reist, heimatlos. So à la Waterworld, nur schöner. Ich hatte ein bisschen was zusammen geschrieben, aber da ich unfähig war, interessante Mitreisende und Dialoge zu erfinden, war das reine Beobachten und Beschreiben dieser endlosen Reise auf Dauer langweilig. Der Text, den ich für den Song ins Englische übersetzt und etwas umgestellt habe, war Folgender:

Wohin mich diese Reise bringen wird, frage ich. Dieses Schiff ist mein Zuhause geworden. Die früher so schmucklose und zweckmäßige Kammer trägt mittlerweile Zeichen meiner Inbesitznahme, Bücher, Bilder, Musikinstrumente, Teppiche. Wenn das Schiff irgendeinen Hafen erreicht, um endlich seine Fracht zu löschen, bleibe ich fast immer an Bord und betrachte die Silhouetten der Städte von hier aus. Die Häfen sind nicht schön. Dunkle Orte in der Nacht, wo unerklärliches Geschehen unerklärt bleibt. Es ist mir egal, ich beobachte nur.

Das Lied ist eines meiner frühen und immer noch Liebsten (neben Better Days, einem Abgesang auf, naja, den Tontechniker, in Moll, gleichzeitig auch das letzte Stück Musik von mir). Als die Musik zu Green Fields fertig und irgendwie aufgenommen war, war ich glücklich und wie frisch verliebt. Es gab keine Unbillen mehr. Denn wenn so etwas aus dem Nichts entstehen kann, muss die Welt gut sein.

Jetzt lese ich wieder. Viel und schnell. Und schreibe. Dafür höre ich keine Musik mehr. Nichts. Am besten nur Stille.
19. September 2012

Ich hatte mit Klangkörpern zu tun

Mon-Cheri-A-self-portrait-as-a-scrapped-shed

Nicht zuletzt mit dem des Tontechnikers. Alles verquickt mit der Unerreichbarkeit und dem Sehnen nach. Jetzt ist Stille. Keine Musik mehr ertragen können, ab und zu mal einige Akkorde auf der Gitarre anschlagen. Vorsichtige Skalen. Ein paar Lieder gesungen. Aber:

Lichter Nebel am Morgen

Dann wieder Stille. Jetzt. Ausatmen. Einatmen. Lauschen auf den unangeschlagenen Klang, anahata.

(Oben: 'Mon Cheri: A self-portrait as a scrapped shed' von Shinro Ohtake auf der d13. Unten: Lichter Morgennebel an der a13, äh... B217.)

Sechseinhalb Jahre später

Graham Coxon, mit rotverwaschenem T-Shirt und am Po schlabbernder Jeans. Ein bisschen Unrasiertheit, die Haare wieder kürzer, als auf den aktuellen Bildern. Die Brille landet im Laufe des Abends irgendwo auf dem Boden vor der Basedrum. Es ist jetzt nicht mehr so, dass ich in Grahams Band spielen möchte – denn in der Zwischenzeit hatte ich meine eigene, ich hatte Songs geschrieben, die wir zusammen geübt und performt hatten, manche im Studio aufgenommen. Es gab auch ein Soloprojekt, Great Taste Rough Tongue, und mein erster Song hieß 'Graham Song'. Er handelt davon, dass ich Graham Coxon in Köln gesehen habe, dass er möglicherweise mein Leben verändert hat, dass ich mir wünschte, mit ihm durch die Gegend zu laufen und mit ihm in Cafés und Parks über alles mögliche sprechen wollte, über die Seele, und die Liebe im allgemeinen. Ein charmanter Song, der in einem langen Outro endet, das besingt, ihn zu vermissen, ihn anzurufen, ihn zu mögen, ihn zu lieben, lala-la-la-la und weitere übertriebene und teenagerhafte Wünsche.

An diesem Tag in Berlin am Postbahnhof sechseinhalb Jahre später enden meine Wünsche nicht, aber ich bin reifer, die Haare grauer und ich verstehe besser, warum da eine große Zuneigung ist, die nicht vergeht. Seine Musik ist es nicht unbedingt, viele Songs finde ich schrecklich. Aber zum Beispiel 'You and I' geht mir seit Tagen nicht aus dem Sinn und die Erinnerung an die herrlich hingeschlunzten Konsonanten und Vokale, so schnell, dass die Mitsinger kaum hinterherkommen, macht Spaß. Das neueste Album kenne ich noch nicht, aber hier und jetzt hört sich das Getöse vielversprechend an. Es gibt da auch psychedelische Bits, um die ich mich zu kümmern haben werde.

Und so stehe ich da seitlich in der ersten Reihe, Stille in mir trotz des Lärms, drei Meter von Graham entfernt, genieße die Spielfreue der Band, Grahams gute Laune, erfreue mich an seinem Lächeln und die Art, wie er mit dem Publikum socialized und plötzlich sind da keine Grenzen mehr, so als hätte ich mein Leben mit ihm verbracht, sein Blick heilsam wie der Darshan eines Weisen.

Er winkt mir zu, als er in der nächsten Kurve der Wendeltreppe zum Backstage noch einmal zurück schaut, während ich hochglotze. Er lächelt wie ein Smiley, mit geschlossenem Mund und ich hebe zaghaft meine Hand und winke zurück.

Als sähe ich mich selbst, in ihm.

Wie wir Musik benutzen, um unerträgliche Gefühle zu erleichtern, wie wir Texte schreiben, die erheben und transzendieren, was unten im Dunkeln lauert und und beleuchtet werden möchte. Graham ist innen viel wütender als ich, aber Sehnsucht und Melancholie teilen wir beide. Und ich sehe auch, dass wir beide endlich Frieden finden werden – Schönheit und Freude sind uns jetzt schon gewogen, ihm auf seine Weise, mir auf meine.

Etwas Bildmaterial
... und noch mehr Bilder
Und Musikke: In The Morning

Das 'Gelände' bietet halbwegs reuelose und teils einfallsreich bebilderte Texte, nach uraltem Rezept geschrieben, gesammelt, im Zeitstrahl gebannt und von aufständischen Dadaisten in letzter Sekunde gut geheißen.

Hier kommt ein Bild:

acht-Oliven1

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