14. Dezember 2012

Schrott

Wegen 2012 hab ich jetzt ebenfalls die Kamera an meinem MacBook abgeklebt, ich möchte Aufzeichnungen vermeiden, die mich in meinen letzten Lebenstagen zeigen, wie ich unbehelligt von all dem fröhlich vor mich hinmache, naja, meditieren tu ich ja nebenan, und wenn dann das allerletzte Byte ins Weltall gestreamt wird, kann man mich jedenfalls nicht sehen.

Trotzdem liegt seit Tagen eine Art dissonante Tonspur unter dem Leben, nachts wache ich auf davon und grübele. Dann sehe ich einige Leute vor meinem inneren Auge, denen ich mal so begegnet bin, weder intensiv noch nachhaltig, aber ich bin empfindlich, weil ich kaum Erklärbares mitfühle, ihre Lebenswege, der Grund für die neuesten Gesichtsfalten oder die Beugung der Rücken, verfusselte Haare, oder die stille Person dort drüben, warum redet die nicht, oder der geschwollene Arm der Kollegin, durch deren Gewebe immer noch die Chemie fließt, die ihren Krebs vernichten soll. Das alles schwebt mit im Raum, als wir zur Weihnachtsfeier blasen zusammensitzen, essen, erzählen und und doch sehr viel lachen.

Und wichteln mit hässlichen Gegenständen, dem sogenannten Schrottwichteln. Alles pompös-feierlich verpackt. Zum Beispiel gibt es eine gläserne Anrichteplatte mit aufgedrucktem Käse (erhältlich auch mit anderen Motiven, z. B. Würsten oder Gemüse). Also, wenn man gar keinen Käse hat, könnte man einfach die Platte auf den Tisch stellen und der sähe aus wie reich gedeckt. Einige Leuchtobjekte werden ausgepackt, das schönste ist ein kleiner Plastiktannenbaum mit echten Glaskugeln, der von innen heraus leuchtet und die Farbe wechselt, den bekommt die Lieblingschefin. Oder das Raclette-Öfchen mit Zubehör für zwei Personen. Oder eine Saufvorrichtung mit winzigen Humpen. Das Rennen machen die Salz- und Pfefferstreuer, die, aufgezogen, über den Tisch fahren können. Ich erhalte ein antik anmutendes Kerzenwindlicht oder was das ist.
Schrottwichteln
Weitere atmosphärisch dichte Bilder nebenan auf dem Gelände zwo.

Das ist alles sehr lustig, wir losen und packen nacheinander aus und machen lärmende Witze. Aber eigentlich ist das alles auch schlimm, wenn man bedenkt, dass die Sachen mal tatsächlich verschenkt wurden, schlimmer noch die Vorstellung, dass gut bezahlte Designer sich so etwas ausdenken (müssen), ich tippe auf Russland, die Japaner können gar nicht hässlich (hoffe ich), die Chinesen machen was anderes und in Südamerika haben Gegenstände bestimmt auch mehr Würde.

Beim Abschied müssen wir die Gäste zwingen erinnern, ihre Geschenke nicht zu vergessen und so löst sich die launige Runde langsam auf.

Die Lieblingschefin nimmt mich mit zurück in die Stadt. Wir reden, während das riesige Auto uns sanft dahinträgt. Es ist ihr ein großes Anliegen, die Mitarbeiter als Gruppe zusammenzuhalten – die länger dabei sind, sind beinahe befreundet, die Busenfreundin ist ja auch eine davon, aber die jüngeren bleiben für mich peripher. Nach dem Eklat vom Frühjahr, darüber schrieb ich schon, versucht sich die Firma freizuschwimmen und ich beobachte, ob und wie es gelingt. Wenn sich im nächsten Frühjahr der Chef zurückzieht, soll die Sache einen neuen Namen bekommen – "irgendwas mit Mett", sagt man lakonisch, Mettzchen wär mein Vorschlag.

Dann könnte man die Anrichteplatte mit Würstemotiv irgendwie mit einbeziehen, entweder in die Logogestaltung oder zum Darbieten der neuesten Entwürstfe. Ein Fest.

Das 'Gelände' bietet halbwegs reuelose und teils einfallsreich bebilderte Texte, nach uraltem Rezept geschrieben, gesammelt, im Zeitstrahl gebannt und von aufständischen Dadaisten in letzter Sekunde gut geheißen.

Hier kommt ein Bild:

schmelze

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