Punkt
In der Nacht stiegen wieder die ganzen vrittis hoch. Deshalb bin ich schon wach und versuche, über was Bestimmtes zu schreiben. Im Südosten seh ich den Himmel hell werden und nachher bin ich mit M., der Leserin, zum Frühstück verabredet.
Gestern hatte sich die Buddhistin zur Abendmeditation angekündigt, in deinem Schlafzimmer, schreibt sie in Großbuchstaben, you know. Natürlich sind in meinem Schlafzimmer schon andere Dinge passiert, worauf sie wohl anspielt, aber mit ihr fast ausschließlich Meditationen. Sie bringt zwei Brötchen mit, ich hatte schon gegessen, aber ich biete ihr für ihr Brötchen die scharfe Marmelade an und den Ziegenkäse vom Bodensee. Wir reden sofort, wie immer, wir kommen immer sofort zur Sache. Über, ich hab das Wort vergessen, jedenfalls die Tatsache, dass die Nachkommen von Menschen mit Kriegserfahrungen diese mit ihren Vorfahren nicht nur mitfühlen, sondern dass sie die Erfahrungen verinnerlicht haben, als wären es die eigenen. Die Buddhistin spricht von Empfindungen, die sie selbst oft hat, die sie überkommen, sie aber nicht einordnen kann. Unter diesem Begriff, der mir entfallen ist, gibt es Texte und Listen, die die Störungen der next generation-Folgeversehrtheit aufzählen, Depressionen, Beziehungstörungen, Kinderlosigkeit, Einsamkeitsgefühle, Selbstüberforderung etc. Ich behalte dazu eine gewisse yogische Distanziertheit, aber finde das Besprochene mindestes so interessant, dass mir natürlich zu mir auch viel einfällt. Die Eltern als 12-, 13-, 14-jährige im letzten Kriegsjahr, die Bomben fliegen ihnen um die Ohren, der jüngere geliebte Bruder wird nochmal eben an die Front geholt und stirbt dort mit 19, in den Jahren nach Kriegsende kommen die viel älteren Geschwister und deren Partner aus ihren jeweiligen Gefangenschaften und wohnen zusammen in der Wohnung meiner Großeltern, die aus allen Nähten platzt. Meine Mutter als Jüngste, das Nesthäkchen, die in die aufwühlenden, angstvollen Erinnerungen der älteren Geschwister nicht eingeweiht wird. Sie merkt bloß, etwas stimmt nicht (mehr). Ähnliches bei meinem Vater, seine Halbgeschwister waren da etwas patriotischer, auf Fotos sieht man sie mit gewissem Stolz ihre Uniformen tragen. Über seine Kriegserinnerungen weiß ich nicht viel. Seine Erzählungen setzen erst in den 50ern an, Petticoat, tolle Haare, Musik, tanzen, feiern mit Freunden, vielleicht noch die Messdienerzeit, dann Freundin, dann Studium, dann Ehe, dann Kinder, dann wir. Ich schweife ab.
Die Buddhistin und ich ziehen uns dann insSchlafzimmer Meditationszimmer zurück. Übrigens liebe ich diesen Raum. Er ist nach Süden und Osten schräg, man nennt das wohl Walmdach, und die südliche Schräge hat eine Gaube mit einem hochgelegenen Fenster, aus dem nur der Kopf herausschaut. Also von innnen nach außen. Wie eine Art Mönchszelle wirkt das Zimmer. Es sind höchstens 10 qm mit altem Holzfußboden, auf die ich die vom Vater geerbten Teppiche ausgelegt habe, die Wände sind, wie in der ganzen Wohnung, unordentlich rauh und ohne Tapeten. Es gibt einen kleinen Altar in einer Zwiebelkiste mit einem goldenen Buddha, den ich von der Stimmlehrerin geschenkt bekommen habe und weiteren Andenken, Bildnissen, schönen Steinen aus dem Ganges, Murmeln, eine kleine Entenfigur von L. aus Cornwall, ein emailliertes Tellerchen mit Blütenmuster und die obligatorische Kerze.
Da sitzen wir dann auf der Matte undtun nichts schweigen voreingestellte 40 Minuten, die das Smartphone mit einem aufschreckend grellen Gongton beendet. Wir entspannen die Leiber in die Liegeposition und so bleiben wir, die Kerze erlischt irgendwann, liegen und reden im schwachen Licht, das vom Hinterhof hereindämmert.
Die eigene Persönlichkeit… Der Buddhistin ist es, als würde sie mehr über sich selbst wissen wollen. Alles herausfinden, was da so brodelt in der Unterwelt. Es gibt einige Minuten Unstimmigkeit zwischen ihr und mir, die ich die Persönlichkeit bloß als klesha, als Schleier, die die Göttlichkeit verdecken, beschreiben möchte, und als solche natürlich zu vernachlässigen sei. Diese Uneinigkeit kann ich abfedern, in dem ich etwas von meiner vielleicht in diesem Zusammenhang zu sorglosen Position abweiche und die Persönlichkeit selbstverständlich als betrachtenswertes Konglomerat an Kram zu würdigen im Diesseits mich beeile.
Letztendlich ist dieser Raum aber leer, und auch wir beginnen beim Sprechen, die Persönlichkeit als eigentlich Leeres zu erkennen, spätestens beim Thema Beziehungen wird klar, dass der Teil, der sich beziehen möchte, bloß geliebt werden und Anerkennung finden will, der Wunsch gesehen zu werden, macht sich suchtartig an den anderen Menschen fest und ja – was, ja. Wir leben, um uns dieses Erkanntwerden selbst zu schenken, indem wir uns selbst sehen und erkennen. Und man kann etwas am besten erkennen, indem man in es reinschlüpft, sich identifiziert und es praktischerweise selbst ist!
Das haben wir so gestern nicht gesagt, aber das ist die Essenz, die ich heute daraus ziehe.
Mein geliebter Swami VB, dessen Namen ich hier nicht ausschreiben möchte, weil ich im Web nicht gefunden werden möchte als Verfasserin, die über ihren Guru schreibt, er sagt, er wäre kein Guru, sein Meister sei sein Guru gewesen, er selbst verfüge nicht über solch eine Macht. Aber als meinen Guru sehe ich Swami, gu ru, die Vertreiberkraft der (geistigen) Dunkelheit.
Nachdem die Buddhistin gegangen war, nach Stunden, hörte ich mir noch eine der tausenden von mitgeschnittenen lectures von Swami VB an, die er im Laufe seiner über 60-jährigen Lehrerzeit in Ashrams, auf Symposien in der ganzen Welt oder vor kleinen Schülerscharen, von denen ich selbst ein Teil bin, gehalten hat. Jeder dieser Vorträge ist eine Perle für sich. Man kann sie im Abo erwerben und sich auf den Rechner laden. Swami VB bedient sich eines Wissens, das er mit einer Selbstverständlichkeit teilt wie – jetzt wird's albern, eine Wiese, auf der Rehe äsen am Morgen und mit einer Natürlichkeit, Steinböcken zu eigen, die in schwierigstem Gelände noch lyrisch tänzelnd ihre Bewegung äh, performen, als gäb's nichts Einfacheres. Auch die älteren Vorlesungen besitzen Frische, Aktualität und die gleiche Schönheit derer aus den letzen Jahren.
Unity in Diversity, darüber spricht er gestern für mich. Der Vortrag ist schön, und ich, mittlerweile auf dem erdnahen Futon in diesem schönen Raum liegend, lache. Swamis Stimme quillt vor Begeisterung, ich muss den Ton leiser stellen, oft fragt er das Publikum, you get it?, und anscheinend verstehen sie nichts, denn er holt erneut aus, spricht über den Tropfen, der sich aus der Gischt des Ozeans für eine kurze Weile erhebt, und in diesem kleinen Moment ruft er, seht, ich bin ein Tropfen, seht her, wie glänzend und einzigartig, ich bin hier, ich, der Tropfen gefüllt mit Leben, so wie all die anderen Tropfen um mich herum, aber bunter noch, lebendiger, ich, ich… – und dann, und dann, fällt er wieder zurück in den Ozean, von dem er ein Teil ist, immer schon ein Teil war und immer Teil sein wird, nein, so ist es nicht, er ist der Ozean, jetzt ist der Tropfen wieder eins mit allem, und so weiter. Das ist natürlich ein Bild für das Leben, das sich für kurze Zeit einzeln fühlt und sich darüber so ereifert und identifiziert mit, –
und jetzt kann ich nicht mehr weiterschreiben, weil mir fehlen leider die Worte und gleich bin ich mit M., der Leserin, zum Frühstück verabredet, ich wollte nur kurz darüber erzählen.
Das Mikrofon, mit dem die lectures aufgenommen werden, ist gewöhnlich am Gewand Swamijis festgemacht, irgendwo in Herznähe. Somit hört man Rascheln, Teetrinken, -gluckern und Kichern, als käme es aus der eigenen Brust. Swami singt noch einige Verse, er singt in Sanskrit, meine Güte, wie schön sich das anhört, wie intim seine Stimme direkt hier, jetzt sehr zart, schmelzend und wieder ganz ruhig, er hat seinen Anfangspunkt gefunden, der gleichzeitig ein Endpunkt ist, ein kleiner Punkt, Bindu, aus dem das ganze Universum gemacht ist.
Achso und ein Witz: Der Dalai Lama geht in eine Pizzeria und bestellt: Make me one with everything. Haha.
Gestern hatte sich die Buddhistin zur Abendmeditation angekündigt, in deinem Schlafzimmer, schreibt sie in Großbuchstaben, you know. Natürlich sind in meinem Schlafzimmer schon andere Dinge passiert, worauf sie wohl anspielt, aber mit ihr fast ausschließlich Meditationen. Sie bringt zwei Brötchen mit, ich hatte schon gegessen, aber ich biete ihr für ihr Brötchen die scharfe Marmelade an und den Ziegenkäse vom Bodensee. Wir reden sofort, wie immer, wir kommen immer sofort zur Sache. Über, ich hab das Wort vergessen, jedenfalls die Tatsache, dass die Nachkommen von Menschen mit Kriegserfahrungen diese mit ihren Vorfahren nicht nur mitfühlen, sondern dass sie die Erfahrungen verinnerlicht haben, als wären es die eigenen. Die Buddhistin spricht von Empfindungen, die sie selbst oft hat, die sie überkommen, sie aber nicht einordnen kann. Unter diesem Begriff, der mir entfallen ist, gibt es Texte und Listen, die die Störungen der next generation-Folgeversehrtheit aufzählen, Depressionen, Beziehungstörungen, Kinderlosigkeit, Einsamkeitsgefühle, Selbstüberforderung etc. Ich behalte dazu eine gewisse yogische Distanziertheit, aber finde das Besprochene mindestes so interessant, dass mir natürlich zu mir auch viel einfällt. Die Eltern als 12-, 13-, 14-jährige im letzten Kriegsjahr, die Bomben fliegen ihnen um die Ohren, der jüngere geliebte Bruder wird nochmal eben an die Front geholt und stirbt dort mit 19, in den Jahren nach Kriegsende kommen die viel älteren Geschwister und deren Partner aus ihren jeweiligen Gefangenschaften und wohnen zusammen in der Wohnung meiner Großeltern, die aus allen Nähten platzt. Meine Mutter als Jüngste, das Nesthäkchen, die in die aufwühlenden, angstvollen Erinnerungen der älteren Geschwister nicht eingeweiht wird. Sie merkt bloß, etwas stimmt nicht (mehr). Ähnliches bei meinem Vater, seine Halbgeschwister waren da etwas patriotischer, auf Fotos sieht man sie mit gewissem Stolz ihre Uniformen tragen. Über seine Kriegserinnerungen weiß ich nicht viel. Seine Erzählungen setzen erst in den 50ern an, Petticoat, tolle Haare, Musik, tanzen, feiern mit Freunden, vielleicht noch die Messdienerzeit, dann Freundin, dann Studium, dann Ehe, dann Kinder, dann wir. Ich schweife ab.
Die Buddhistin und ich ziehen uns dann ins
Da sitzen wir dann auf der Matte und
Die eigene Persönlichkeit… Der Buddhistin ist es, als würde sie mehr über sich selbst wissen wollen. Alles herausfinden, was da so brodelt in der Unterwelt. Es gibt einige Minuten Unstimmigkeit zwischen ihr und mir, die ich die Persönlichkeit bloß als klesha, als Schleier, die die Göttlichkeit verdecken, beschreiben möchte, und als solche natürlich zu vernachlässigen sei. Diese Uneinigkeit kann ich abfedern, in dem ich etwas von meiner vielleicht in diesem Zusammenhang zu sorglosen Position abweiche und die Persönlichkeit selbstverständlich als betrachtenswertes Konglomerat an Kram zu würdigen im Diesseits mich beeile.
Letztendlich ist dieser Raum aber leer, und auch wir beginnen beim Sprechen, die Persönlichkeit als eigentlich Leeres zu erkennen, spätestens beim Thema Beziehungen wird klar, dass der Teil, der sich beziehen möchte, bloß geliebt werden und Anerkennung finden will, der Wunsch gesehen zu werden, macht sich suchtartig an den anderen Menschen fest und ja – was, ja. Wir leben, um uns dieses Erkanntwerden selbst zu schenken, indem wir uns selbst sehen und erkennen. Und man kann etwas am besten erkennen, indem man in es reinschlüpft, sich identifiziert und es praktischerweise selbst ist!
Das haben wir so gestern nicht gesagt, aber das ist die Essenz, die ich heute daraus ziehe.
Mein geliebter Swami VB, dessen Namen ich hier nicht ausschreiben möchte, weil ich im Web nicht gefunden werden möchte als Verfasserin, die über ihren Guru schreibt, er sagt, er wäre kein Guru, sein Meister sei sein Guru gewesen, er selbst verfüge nicht über solch eine Macht. Aber als meinen Guru sehe ich Swami, gu ru, die Vertreiberkraft der (geistigen) Dunkelheit.
Nachdem die Buddhistin gegangen war, nach Stunden, hörte ich mir noch eine der tausenden von mitgeschnittenen lectures von Swami VB an, die er im Laufe seiner über 60-jährigen Lehrerzeit in Ashrams, auf Symposien in der ganzen Welt oder vor kleinen Schülerscharen, von denen ich selbst ein Teil bin, gehalten hat. Jeder dieser Vorträge ist eine Perle für sich. Man kann sie im Abo erwerben und sich auf den Rechner laden. Swami VB bedient sich eines Wissens, das er mit einer Selbstverständlichkeit teilt wie – jetzt wird's albern, eine Wiese, auf der Rehe äsen am Morgen und mit einer Natürlichkeit, Steinböcken zu eigen, die in schwierigstem Gelände noch lyrisch tänzelnd ihre Bewegung äh, performen, als gäb's nichts Einfacheres. Auch die älteren Vorlesungen besitzen Frische, Aktualität und die gleiche Schönheit derer aus den letzen Jahren.
Unity in Diversity, darüber spricht er gestern für mich. Der Vortrag ist schön, und ich, mittlerweile auf dem erdnahen Futon in diesem schönen Raum liegend, lache. Swamis Stimme quillt vor Begeisterung, ich muss den Ton leiser stellen, oft fragt er das Publikum, you get it?, und anscheinend verstehen sie nichts, denn er holt erneut aus, spricht über den Tropfen, der sich aus der Gischt des Ozeans für eine kurze Weile erhebt, und in diesem kleinen Moment ruft er, seht, ich bin ein Tropfen, seht her, wie glänzend und einzigartig, ich bin hier, ich, der Tropfen gefüllt mit Leben, so wie all die anderen Tropfen um mich herum, aber bunter noch, lebendiger, ich, ich… – und dann, und dann, fällt er wieder zurück in den Ozean, von dem er ein Teil ist, immer schon ein Teil war und immer Teil sein wird, nein, so ist es nicht, er ist der Ozean, jetzt ist der Tropfen wieder eins mit allem, und so weiter. Das ist natürlich ein Bild für das Leben, das sich für kurze Zeit einzeln fühlt und sich darüber so ereifert und identifiziert mit, –
und jetzt kann ich nicht mehr weiterschreiben, weil mir fehlen leider die Worte und gleich bin ich mit M., der Leserin, zum Frühstück verabredet, ich wollte nur kurz darüber erzählen.
Das Mikrofon, mit dem die lectures aufgenommen werden, ist gewöhnlich am Gewand Swamijis festgemacht, irgendwo in Herznähe. Somit hört man Rascheln, Teetrinken, -gluckern und Kichern, als käme es aus der eigenen Brust. Swami singt noch einige Verse, er singt in Sanskrit, meine Güte, wie schön sich das anhört, wie intim seine Stimme direkt hier, jetzt sehr zart, schmelzend und wieder ganz ruhig, er hat seinen Anfangspunkt gefunden, der gleichzeitig ein Endpunkt ist, ein kleiner Punkt, Bindu, aus dem das ganze Universum gemacht ist.
Achso und ein Witz: Der Dalai Lama geht in eine Pizzeria und bestellt: Make me one with everything. Haha.
keinekrabbe - 27. November, 09:24