Mama, wenn ich alt bin, hab ich dann die Beatles immer noch lieb? Oder muss ich dann klassische Musik hören? Eine sehr wichtige Frage, die ich Mama da in der Küche stelle, ungefähr mit zwölf. Ihre Antwort ist großzügig. Natürlich darfst du alles hören, was du magst. Immerhin deutet sie die Möglichkeit an, dass es auch klassische Musik sein könnte.
Jetzt sieht es so aus, als würde ich alt. Nicht, dass ich keine Beatles mehr höre, keinen Britpop mehr mag. Aber es könnte sein, dass mich der
beat nicht mehr so anmacht, das Herumschlagen auf Klangkörpern. Neulich hatte ich mal versucht auszugehen; dort im Keller einer ehemaligen Schule, im Mädchenklo gibt es einen Verein, der sich netten Klängen widmet. Man läd junge MusikerInnen aus skandinavischen Ländern ein oder Island, solche mit glockenschönen Stimmen, Geigen, Celli, Gitarren, Zimbeln oder Instrumenten, die so ähnlich klingen, und interessante Perkussionsobjekte haben sie auch dabei. Die kleine Bühne bietet wenig Platz und auch das Publikum kuschelt sich ein auf Gebrauchtsofas, schnell ist die Luft veratmet, der Klang schrebbelt von Wand zu Wand zu Deckengewölbe und eigentlich könnte das alles schön sein, aber ich muss nach dem dritten Stück sofort raus. Ich kann plötzlich nichts mit dem anfangen, was die jungen Damen da
performen, und ich möchte auch nicht eng an eng stehen und all das Sehnen und Aufmerksamkeit-Heischen mitbekommen, das jüngeren Menschen eigen ist und mir fast nicht mehr.
Also habe ich angefangen, klassische Musik zu hören. Auf
spotify öffnet sich für mich jetzt ungehemmt die Welt der, sagen wir, über Hundertjährigen, aber eigentlich war damals mit zwölf 40 schon steinalt. Mit Chopin habe ich angefangen, Klavierkram, aber gestern Nacht… Eric Satie, empfahl die Leserin neulich. Gut, Satie. Spiel mir alles, sagte ich zu
spotify. Erik Satie ist der mit den kleinen Echotönen am Ende einer Zeile und den beinah disharmonischen Skalen, den mixolydischen, aeolischen, phrygischen, und wie sie alle heißen, und diesen kurzen aufatmenden Entlassungen in die waldrauschende Sommerfrische und wieder zurück ins aufregend Atonale*. Wahnsinn. Ganz besonders schön bei der
Gnossienne No. 4: Lent, die mein Herz dann vollends entrücken ließ.
Wegen der ganzen französischen Namen, die ich nicht verstehe, träume ich, nachdem ich endlich eingeschlafen bin, von Les Troisieme Escrimeurs, den Dreisamen Fechtern. 'Troisieme' stimmt so nicht und
escrimeurs muss ich nachschauen. Es sind eigentlich zwei, die fechten mehr schlecht als recht auf einer holperigen Bühne, es geht auch nicht um die Qualität ihres Fechtens. Ich knipse ein langweiliges Foto und will mich schon abwenden, aber in dem Moment, indem ich auslöse, hören sie auf zu kämpfen, springen von der Bühne und gehen anderen Lustbarkeiten nach. Ich folge ihnen, jetzt doch mit Neugier, und oh, wie sehr sie mich willkommen heißen als eine der Ihren! Es wird klar, ich bin die fehlende Dritte, La Troisieme,
die Beobachterin. Ohne mich sind sie nichts, ihr Kampf wertlos und ihre Degen ohne Kraft.
* Atonal stimmt ja nicht, denn es klingt, und zwar herrlich!
keinekrabbe - 7. Dezember, 11:43
Über das Gelände wehte heute eine dichte Unzufriedenheit. Was scheinbar grundlos in der Nacht begann, verfolgte mich den ganzen Tag wie ein Tiefausläufer mit blödem Namen, nagte still vor sich hin und deprimierte mich tief. Langsame Einsicht, vielleicht. Ehrlichkeit vs.
Scheißfreundlichkeit Diplomatie, für mich schließen sich beide aus! Kleinlichkeit, Konkurrenz, Sucht nach Anerkennung, auch alle mit blödem Namen. Erwachsene Menschen sollten sich nicht gegenseitig vor anderen
rügen. Wahrscheinlich schlechtes Karma, weil ich im letzten Text über die Busenfreundin
hergezogen berichtet hatte. Sicherlich.
Bloß noch Schatten ihrer Selbst: Diplomatie & Ehrlichkeit mit kackfarbener Schnittmenge.
Nachtrag: Wir spielen ein Spiel, das heißt
Wenn du mir keine Beachtung schenkst, provoziere ich dich solange, bis du mich bemerkst. Das Deprimierende daran ist nicht, dass wir es spielen, die Menschen machen ja so einiges miteinander, sondern dass ich es nicht durchschaue und mich immer wieder reinziehen lasse. Und dann noch tagelang darüber grübele, was ich falsch gemacht habe. Es ist zum Weinen.
keinekrabbe - 5. Dezember, 17:23
Jetzt sitze ich in der Küche und wenn ich so weitermache, sind die schokoladigen Walnuss-Rosinen-Dinger gleich alle. Draußen schneit es (nicht drinnen, wie auch). Durchscheinend weiß überzogen sind Dächer, Wege und Rasenflächen. Im Rücken die Heizung, draußen das Kalte.
So könnten auch Ihre Schneebälle aussehen.
Es kommen wieder mehr Gedanken, die letzten Tage waren dagegen sehr still. Die Busenfreundin J. hat in B. wieder mal ein Fotografie-Seminar belegt, aber als ich sie gestern anrufe, liegt sie mit beginnender Migräne auf der Liege. Ich versuche, sie durch Fröhlichkeit fernzuheilen, sonst, wenn sie daheim ist, schlüpfe zu ihr ins Bett, nehme sie in den Arm, wenn sie nicht grad kotzt, lege eine kühle Hand auf die wehen Stellen, wir jammern gemeinsam über ihr Kopfleid und das der ganzen Welt gleich mit und dann ist es auch schon wieder gut. Wenn man sich kennt, ist es leicht. Ich weiß, wie sehr sie sich selbst stresst, und manchmal bin ich ein bisschen böse, oder tue zumindest so.
Aber ihr Leben kann ich nicht ändern (wie auch). Von fern ist es einfach, über ein anderes zu urteilen. Nimm dir mehr Zeit für dich, denk nicht so viel über die Vergangenheit nach… Ich glaube, dass J. eine wirklich begabte Künstlerin ist, aber sie ist jetzt schon seit so vielen Jahren dabei, ihren Stil zu entwickeln – es scheint irgendwie gar keine Entwicklung zu geben, sondern es wirkt auf mich eher wie ein
Versuch sich irgendwohin zu entwickeln, da gibt es kein konzentriertes Tun und Arbeiten, sondern der Output beschränkt sich auf die Ergebnisse der vielen uneinheitlichen Workshops. Vielleicht ist es ja auch ihr heimliches Konzept, aber natürlich weiß ich, wie wenig klar sie oft über ihren Arbeiten grübelt. Dann ist da noch das Tagesgeschäft in der Agentur, Geldverdienen, die
Psychoseminare, die Vergangenheitsbewältigung, das Aufräumen des Messiearbeitszimmers, das kein Ende nimmt und wieder keine richtige Muße, um weiterzumachen, wieder eine Unterbrechung.
Fragt sich, was ich selbst für Ziele habe und ob ich alle meine Talente effektiv einsetze.
Wir lernen aneinander. Der Spiegel, den wir uns vorhalten, zeigt oft Erschreckendes, Ähnliches, nicht Erwünschtes. Mittlerweile haben wir uns ausgetobt, ich versuche, mich zurückzuhalten, sobald Unstimmigkeiten auftauchen, die ich schon schnell als zu mir oder zu ihr gehörig erkennen kann. Meine verneine ich, irgendwie, und ihre übersehe ich großzügig, geduldig.
Obwohl Geduld nicht meine Stärke ist. Ich wollte immer alles, oder zumindest vieles, und zwar sofort. Mit der Zeit ist das Wollen weniger geworden, die Wünsche übersichtlich und meist nicht von dieser Welt. Befreiung, Erleuchtung, Beenden des
samsara,
moksha.
Mehr eigentlich nicht.
Nachtrag – Ein Film (und was für einer!):
Samsara – Geist und Leidenschaft
Regie: Pan Nalin, gedreht im Jahr 2001 in Indien (Kashmir).
"I realize now that my task is not over.
And so I will be returning to samsara.
I know that we shall meet again.
Perhaps that when we do you will be able to tell me what is more important:
Satisfying one thousand desires
or conquering just one."
"How can one prevent a drop from ever drying up.
By throwing it into the sea."
keinekrabbe - 2. Dezember, 11:12
Mittlerweile bin ich wieder umgeben von Bücherstapeln. Neben dem Bett, rings um's Sofa. Ich lese viel, online, offline. Während der Jahre, in der ich
mit Musik beschäftigt war, habe ich praktisch nichts gelesen. Da war nichts, was Interesse wecken konnte. Wahrscheinlich habe ich Brillantes verpasst, das lässt sich nachholen. Die Sprache bedeutete mir nicht mehr viel, es war nun die Musik, die ich kennen wollte, ich nahm Gesangs- und Bassunterricht mit einem Haufen Theorie über Skalen, Harmonien und
Tönen und gab Unmengen Geld für Instrumente und
equip aus, schrieb Songs, die ich daheim im Schlafzimmer aufnahm, alle möglichen Leute homerecordeten zu der Zeit ihre eigene Musik, es entstand eine eigene Musikrichtung mit entsprechendem Namen, und romantische Filme gab's im Kino mit selbstgemachter Musik von jungen, gitarreklampfenden Frauen mit unausgebildeten, aber charmanten Stimmen. Das ist gar nicht so lange her, aber irgendwie lange vorbei.
Jetzt lese ich wieder. Viel und schnell. So schnell, dass ich 100 Seiten lang nicht merke, dass ich das Buch, das quer im Regal und anscheinend zum Lesen bereit lag, schon gelesen hatte diesen Sommer.
Tschik hab ich gelesen, und wieder so schnell, man muss es schnell lesen, weil es atemlos geschrieben ist, und dadurch merkt man nichts von seiner romantischen Qualität. Leider. Ich werde es nochmal lesen. Langsamer.
Und jetzt
Imperium. Ein bisschen schlau hab ich mich machen müssen, das Buch ist ja herrlich umstritten, sogar der Buchladen von M., der Leserin, hat es nicht vorrätig, eben wegen der vielen Kritiken, das sei ihnen zu blöd – und mir egal, denn als ich Christian Krachts
Dankesrede zum Wilhelm-Raabe-Preis höre, denke ich mir, wer so spricht und nochmal eben mit links zum Mahabharata ausholt, kann nichts Böses meinen, und jetzt les ich's halt und berausche mich an den unglaublichen Sätzen dieser seltsamen Erzählung.
Das erste Kapitel mit der Schiffsfahrt wiederum erinnert mich an einen Song den ich geschrieben habe, ich will jetzt nicht
komponiert sagen, das klingt so unbescheiden, aber es ist natürlich komponiert. Gesang und Gitarre. Die
lyrics bestehen aus einem von etlichen Tagebucheinträgen, die ich eine Figur namens Aurora unter dem Titel
Grünes Land schreiben lassen wollte, welche in einer fiktiven Zukunft nach
Der Großen Flut auf einem Frachter über die Weltmeere reist, heimatlos. So à la Waterworld, nur schöner. Ich hatte ein bisschen was zusammen geschrieben, aber da ich unfähig war, interessante Mitreisende und Dialoge zu erfinden, war das reine Beobachten und Beschreiben dieser endlosen Reise auf Dauer langweilig. Der Text, den ich für den Song ins Englische übersetzt und etwas umgestellt habe, war Folgender:
Wohin mich diese Reise bringen wird, frage ich. Dieses Schiff ist mein Zuhause geworden. Die früher so schmucklose und zweckmäßige Kammer trägt mittlerweile Zeichen meiner Inbesitznahme, Bücher, Bilder, Musikinstrumente, Teppiche. Wenn das Schiff irgendeinen Hafen erreicht, um endlich seine Fracht zu löschen, bleibe ich fast immer an Bord und betrachte die Silhouetten der Städte von hier aus. Die Häfen sind nicht schön. Dunkle Orte in der Nacht, wo unerklärliches Geschehen unerklärt bleibt. Es ist mir egal, ich beobachte nur.
Das Lied ist eines meiner frühen und immer noch Liebsten (neben
Better Days, einem Abgesang auf, naja, den Tontechniker, in Moll, gleichzeitig auch das letzte Stück Musik von mir). Als die Musik zu
Green Fields fertig und irgendwie aufgenommen war, war ich glücklich und wie frisch verliebt. Es gab keine Unbillen mehr. Denn wenn so etwas aus dem Nichts entstehen kann, muss die Welt gut sein.
Jetzt lese ich wieder. Viel und schnell. Und schreibe. Dafür höre ich keine Musik mehr. Nichts. Am besten nur Stille.
keinekrabbe - 29. November, 00:01
In der Nacht stiegen wieder die ganzen vrittis hoch. Deshalb bin ich schon wach und versuche, über was Bestimmtes zu schreiben. Im Südosten seh ich den Himmel hell werden und nachher bin ich mit M., der Leserin, zum Frühstück verabredet.
Gestern hatte sich die Buddhistin zur Abendmeditation angekündigt, in deinem Schlafzimmer, schreibt sie in Großbuchstaben, you know. Natürlich sind in meinem Schlafzimmer schon andere Dinge passiert, worauf sie wohl anspielt, aber mit ihr fast ausschließlich Meditationen. Sie bringt zwei Brötchen mit, ich hatte schon gegessen, aber ich biete ihr für ihr Brötchen die scharfe Marmelade an und den Ziegenkäse vom Bodensee. Wir reden sofort, wie immer, wir kommen immer sofort zur Sache. Über, ich hab das Wort vergessen, jedenfalls die Tatsache, dass die Nachkommen von Menschen mit Kriegserfahrungen diese mit ihren Vorfahren nicht nur mitfühlen, sondern dass sie die Erfahrungen verinnerlicht haben, als wären es die eigenen. Die Buddhistin spricht von Empfindungen, die sie selbst oft hat, die sie überkommen, sie aber nicht einordnen kann. Unter diesem Begriff, der mir entfallen ist, gibt es Texte und Listen, die die Störungen der next generation-Folgeversehrtheit aufzählen, Depressionen, Beziehungstörungen, Kinderlosigkeit, Einsamkeitsgefühle, Selbstüberforderung etc. Ich behalte dazu eine gewisse yogische Distanziertheit, aber finde das Besprochene mindestes so interessant, dass mir natürlich zu mir auch viel einfällt. Die Eltern als 12-, 13-, 14-jährige im letzten Kriegsjahr, die Bomben fliegen ihnen um die Ohren, der jüngere geliebte Bruder wird nochmal eben an die Front geholt und stirbt dort mit 19, in den Jahren nach Kriegsende kommen die viel älteren Geschwister und deren Partner aus ihren jeweiligen Gefangenschaften und wohnen zusammen in der Wohnung meiner Großeltern, die aus allen Nähten platzt. Meine Mutter als Jüngste, das Nesthäkchen, die in die aufwühlenden, angstvollen Erinnerungen der älteren Geschwister nicht eingeweiht wird. Sie merkt bloß, etwas stimmt nicht (mehr). Ähnliches bei meinem Vater, seine Halbgeschwister waren da etwas patriotischer, auf Fotos sieht man sie mit gewissem Stolz ihre Uniformen tragen. Über seine Kriegserinnerungen weiß ich nicht viel. Seine Erzählungen setzen erst in den 50ern an, Petticoat, tolle Haare, Musik, tanzen, feiern mit Freunden, vielleicht noch die Messdienerzeit, dann Freundin, dann Studium, dann Ehe, dann Kinder, dann wir. Ich schweife ab.
Die Buddhistin und ich ziehen uns dann ins Schlafzimmer Meditationszimmer zurück. Übrigens liebe ich diesen Raum. Er ist nach Süden und Osten schräg, man nennt das wohl Walmdach, und die südliche Schräge hat eine Gaube mit einem hochgelegenen Fenster, aus dem nur der Kopf herausschaut. Also von innnen nach außen. Wie eine Art Mönchszelle wirkt das Zimmer. Es sind höchstens 10 qm mit altem Holzfußboden, auf die ich die vom Vater geerbten Teppiche ausgelegt habe, die Wände sind, wie in der ganzen Wohnung, unordentlich rauh und ohne Tapeten. Es gibt einen kleinen Altar in einer Zwiebelkiste mit einem goldenen Buddha, den ich von der Stimmlehrerin geschenkt bekommen habe und weiteren Andenken, Bildnissen, schönen Steinen aus dem Ganges, Murmeln, eine kleine Entenfigur von L. aus Cornwall, ein emailliertes Tellerchen mit Blütenmuster und die obligatorische Kerze.
Da sitzen wir dann auf der Matte und tun nichts schweigen voreingestellte 40 Minuten, die das Smartphone mit einem aufschreckend grellen Gongton beendet. Wir entspannen die Leiber in die Liegeposition und so bleiben wir, die Kerze erlischt irgendwann, liegen und reden im schwachen Licht, das vom Hinterhof hereindämmert.
Die eigene Persönlichkeit… Der Buddhistin ist es, als würde sie mehr über sich selbst wissen wollen. Alles herausfinden, was da so brodelt in der Unterwelt. Es gibt einige Minuten Unstimmigkeit zwischen ihr und mir, die ich die Persönlichkeit bloß als klesha, als Schleier, die die Göttlichkeit verdecken, beschreiben möchte, und als solche natürlich zu vernachlässigen sei. Diese Uneinigkeit kann ich abfedern, in dem ich etwas von meiner vielleicht in diesem Zusammenhang zu sorglosen Position abweiche und die Persönlichkeit selbstverständlich als betrachtenswertes Konglomerat an Kram zu würdigen im Diesseits mich beeile.
Letztendlich ist dieser Raum aber leer, und auch wir beginnen beim Sprechen, die Persönlichkeit als eigentlich Leeres zu erkennen, spätestens beim Thema Beziehungen wird klar, dass der Teil, der sich beziehen möchte, bloß geliebt werden und Anerkennung finden will, der Wunsch gesehen zu werden, macht sich suchtartig an den anderen Menschen fest und ja – was, ja. Wir leben, um uns dieses Erkanntwerden selbst zu schenken, indem wir uns selbst sehen und erkennen. Und man kann etwas am besten erkennen, indem man in es reinschlüpft, sich identifiziert und es praktischerweise selbst ist!
Das haben wir so gestern nicht gesagt, aber das ist die Essenz, die ich heute daraus ziehe.
Mein geliebter Swami VB, dessen Namen ich hier nicht ausschreiben möchte, weil ich im Web nicht gefunden werden möchte als Verfasserin, die über ihren Guru schreibt, er sagt, er wäre kein Guru, sein Meister sei sein Guru gewesen, er selbst verfüge nicht über solch eine Macht. Aber als meinen Guru sehe ich Swami, gu ru, die Vertreiberkraft der (geistigen) Dunkelheit.
Nachdem die Buddhistin gegangen war, nach Stunden, hörte ich mir noch eine der tausenden von mitgeschnittenen lectures von Swami VB an, die er im Laufe seiner über 60-jährigen Lehrerzeit in Ashrams, auf Symposien in der ganzen Welt oder vor kleinen Schülerscharen, von denen ich selbst ein Teil bin, gehalten hat. Jeder dieser Vorträge ist eine Perle für sich. Man kann sie im Abo erwerben und sich auf den Rechner laden. Swami VB bedient sich eines Wissens, das er mit einer Selbstverständlichkeit teilt wie – jetzt wird's albern, eine Wiese, auf der Rehe äsen am Morgen und mit einer Natürlichkeit, Steinböcken zu eigen, die in schwierigstem Gelände noch lyrisch tänzelnd ihre Bewegung äh, performen, als gäb's nichts Einfacheres. Auch die älteren Vorlesungen besitzen Frische, Aktualität und die gleiche Schönheit derer aus den letzen Jahren.
Unity in Diversity, darüber spricht er gestern für mich. Der Vortrag ist schön, und ich, mittlerweile auf dem erdnahen Futon in diesem schönen Raum liegend, lache. Swamis Stimme quillt vor Begeisterung, ich muss den Ton leiser stellen, oft fragt er das Publikum, you get it?, und anscheinend verstehen sie nichts, denn er holt erneut aus, spricht über den Tropfen, der sich aus der Gischt des Ozeans für eine kurze Weile erhebt, und in diesem kleinen Moment ruft er, seht, ich bin ein Tropfen, seht her, wie glänzend und einzigartig, ich bin hier, ich, der Tropfen gefüllt mit Leben, so wie all die anderen Tropfen um mich herum, aber bunter noch, lebendiger, ich, ich… – und dann, und dann, fällt er wieder zurück in den Ozean, von dem er ein Teil ist, immer schon ein Teil war und immer Teil sein wird, nein, so ist es nicht, er ist der Ozean, jetzt ist der Tropfen wieder eins mit allem, und so weiter. Das ist natürlich ein Bild für das Leben, das sich für kurze Zeit einzeln fühlt und sich darüber so ereifert und identifiziert mit, –
und jetzt kann ich nicht mehr weiterschreiben, weil mir fehlen leider die Worte und gleich bin ich mit M., der Leserin, zum Frühstück verabredet, ich wollte nur kurz darüber erzählen.
Das Mikrofon, mit dem die lectures aufgenommen werden, ist gewöhnlich am Gewand Swamijis festgemacht, irgendwo in Herznähe. Somit hört man Rascheln, Teetrinken, -gluckern und Kichern, als käme es aus der eigenen Brust. Swami singt noch einige Verse, er singt in Sanskrit, meine Güte, wie schön sich das anhört, wie intim seine Stimme direkt hier, jetzt sehr zart, schmelzend und wieder ganz ruhig, er hat seinen Anfangspunkt gefunden, der gleichzeitig ein Endpunkt ist, ein kleiner Punkt, Bindu, aus dem das ganze Universum gemacht ist.
Achso und ein Witz: Der Dalai Lama geht in eine Pizzeria und bestellt: Make me one with everything. Haha.
keinekrabbe - 27. November, 09:24