30. März 2013

Osterumzug

Es ist also so weit: Ich ziehe zu blogger.de und schreibe ab sofort dort weiter. Das hatte sich ja schon hier angekündigt, und war hauptsächlich wegen der Speicherplatzbeschränkung (meine 3 MB sind fast voll mit Bildern) und des dauernden Ausfalls bei twoday in Erwägung gezogen worden. Und gestern, an diesem schneereichen Karfreitag hatte ich genug Zeit, mich neu einzurichten.

Um meine Texte an ihrem neuen Platz zu finden, müssen Sie nur ein ganz klein wenig stöbern und kombinieren, ich mache es Ihnen da sehr leicht. Es sieht dort fast genauso aus wie hier. Und wenn Sie mich gefunden haben, sagen Sie doch kurz hallo, würd' mich freuen.
25. März 2013

Etwas mehr von Cornwall

Trevalga
Trevalga, Blick aus dem Fenster

Während die Frau Montez mit Siebenmeilenstiefeln die kornische Landschaft schreibend durcheilt, möchte ich gern am Wegesrand stehenbleiben und ein wenig verweilen, und zwar direkt am Southwest Coast Path, noch direkter in Trevalga, einem winzigen Örtchen zwischen Boscastle und Tintagel, klippenhoch gelegen mit weitem Blick nach Nord und Süd. Die Frau Montez selbst war es, die mich hierher geschickt hat. Und so fuhr ich zweimal in jenem Jahr 2011, im Frühjahr, da war das Wetter noch gräulich und so rauh, dass ich Angst hatte von schmalen Graten geweht zu werden, und dann nochmal richtig im Sommer, mit der Erwartung auf Baden im Meer und langen Wanderungen am Strand oder hoch auf den Klippen.

Ich lebte beide Male bei L., die in Trevalga ein rumpelig-gemütliches B&B betreibt, jeden Morgen aß ich englisches Frühstück, ohne dass es mir langweilig wurde, Haferbrei, Spiegeleier, Tomaten, Bohnen, hash browns, Toast und Marmelade. Nur auf Speck und Würstel verzichtete ich. Danach machte ich mich auf, entweder durch das Örtchen zum Coastal Path, von dort nach Norden oder Süden, so wie es mir gefiel oder an die Straße, um dem Bus zu winken, der mich meistens Richtung Norden fuhr, nach Crackington Haven oder noch weiter, nach Bude.

Crackington Haven sieht so aus wie der Name sich anhört: Wildes Gestein liegt irre am Strand herum, es hat mir buchstäblich den Atem genommen als ich aus dem Bus gestiegen war und von oben von der Straße kommend auf die Unordnung sah. Und dann runter und zwischen den Felsen herumlaufen, mit denen ein Riesenkind gespielt haben musste und vergessen hatte aufzuräumen. Noch imposanter allerdings ist der geologische Wahnsinn hinter Bude, Bude Strand, bei Ebbe läuft man kilometerlang auf plattem, hell- und dunkelbraun marmoriertem Sand, dort drüben dann diese dramatischen Verwerfungen in Zickzack, Brüchen, Rissen, Höhlen.
Bude
Strand bei Bude

Ich bin dort überall gewandert, habe alte Kirchen besucht mit ihren graveyards anbei, beinahe romantisch, und immer der Blick über das Meer, auch die Toten sollen es schön haben.

Wenn ich von den täglichen Stunden einsamen Wanderns zur Ruhe gekommen war, fehlte dann wieder mal die Stadt. Bude ist so eine kleine Stadt, in der man auf wenig Raum alles bekommt, was das Touristenherz von England begehrt. Ich kaufte mir einen Wetsuit und stiegt damit ins eisige Meer, der nächste Strand von Trevalga aus ist südlich, Bossiney Haven Beach, man muss jedesmal runter durchs Rocky Valley, dann wieder hoch auf die Klippen und dann mühsam direkt ans Wasser. Die Engländerinnen stehen so im Meer rum und quatschen und ich versuch's erstmal ohne Wetsuit, das Wasser ist arschkalt und brennt auf der Haut. 14 Grad, erfahre ich, so kalt bin ich noch nie geschwommen.
Bossiney-Beach
Bossiney Beach

Bei Flut steht das alles tief im Meer. Ich habe mir sagen lassen, dass der Tidenhub an der Steilküste ca. sieben Meter beträgt. Leben mit den Gezeiten, nach kürzester Zeit wusste ich meine Touren auf die Tide abzustimmen, am besten noch vor dem tiefsten Stand an den Strand, dann ist genug Zeit, um die tief klaffenden Höhlen zu untersuchen, gefährlich bei steigender Flut, die man unbedingt im Blick halten muss.
Felsen-mit-Hoehlen
Noch ist Zeit zum Spielen

In Boscastle, ungefähr 40 Minuten zu Fuß am Küstenpfad gen Norden, einen Cappucchino trinken, ein dickes Stück Möhrenkuchen mit Zitronenguss dazu, Zeitung lesen, Menschen beobachten und wieder 40 Minuten zurück, der Weg wurde mir vertrauter von Mal zu Mal.

Man kann sagen, dass ich jeden Felsen größere Klippe zwischen Tintagel und Bude kannte nach diesem Sommer. Ich bin einfach losgelaufen, Wind im Haar, sonnengebräunt, den Blick, wenn nicht auf den Weg, dann aufs Meer in die Ferne gerichtet, ein Wetter und ein Licht gab's da!, jeden Tag in anderen Farben. Die Pflanzen blühten üppig und in allen Bunttönen, Unmengen postkartenartiger Motive lagen in der Kamera. Ich freundete mich mit den Menschen an, mit L. und ihrem Freund, die für mich sorgten, mich ab und zu ins Pub nach Boscastle mitnahmen, gemeinsames Singen mit allen Einwohnern, es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte meine Songs performt, natürlich habe ich mich nicht getraut.

Trevalga besitzt sogar eine Kirche, St. Petroc's. Am Sonntag ging ich dort zur Messe und auch sonst fand mich der Küster oft meditierend auf der mit rotem Samt bezogenen Bank, wenn er am Freitag die Heizung anwarf, damit die feinen Damen mit ihren jubilierenden Stimmen es am Sonntag comfortable hatten. Nach meinem allerletzten Spaziergang, als ich endlich doch noch einen Schwarm Delphine gesichtet hatte, sollte ich heulend in des Küsters Armen landen, sein vom Rasenmähen an der Kirchenmauer verschwitzes Unterhemd nahm auch noch diese Tropfen auf, I'm leaving tomorrow, es brach mir beinahe das Herz.
Moose
Moos hält sich am Fels fest.

Es schien ein einfaches Leben. Tagsüber wandern, Nachts schlafen, genügend essen, fotografieren. Ich wollte von allem weg. Mein Vater war im Januar gestorben und ich nahm ihn mit zu all den schroffen Felsen, von denen ich wusste, dass er sie auch lieben würde als eifriger Alpenkletterer, guck mal Papa, wie das hier aussieht! Während er in meinem Herzen mitreiste, konnte ich Abschied nehmen.
24. März 2013

Mitgefühl

Es ist nicht so, dass ich Stimmen höre. Aber manchmal, beim Dösen in der Sonne oder kurz vorm Einschlafen, öffnet sich ein Fensterchen und ein knapper Dialog rempelt heraus oder eine Szene zappt ins Bewusstsein, einige Sekunden, kaum wahrzunehmen. Meist geht es um etwas, das erledigt werden muss, eine Verabredung, die ich vergessen habe einzuhalten, einen Auftrag, eine Antwort, eine Hilfe. Die Szenen sind derart flüchtig, dass ich eine Not habe, sie zu untersuchen – nicht einmal kenne ich die Menschen, die mich mit dem anscheinend dringlichen Versprechen verbinden, es sind Fremde, mit denen mich rein gar nichts verbindet, noch sind mir die Themen dieser Situationen vertraut. Während dieser Sekunden aber bedeuten sie mir alles, und ich weiß nicht wie um Himmels Willen ich sie jemals vergessen konnte.

Ein eiskalter Tag mit blauem Himmel. Von neun bis eins liegt das ausgeklappte Sofa in grellstem Sonnenlicht, gestern auch schon. Erst frühstücke ich auf der rechten Ecke, später lese in der Mitte, dann gegen zwölf schlafe ich ein bisschen linkseitig und genieße die Wärme, die durch die geschlossenen Fenster mein Gesicht erhitzt, die Augenlider, die Wangen, die Schultern, ein perfektes und friedliches Gefühl. Gestern gelang es mir, die dunklen Gedanken, die nachts aus dem Nichts aufgestiegen sind zu vertreiben. Liebende Güte. Aber hier auf dem Sofa mit all den Kissen und der verdammten Sinnlichkeit, da ist es wieder, das Fensterchen geht auf und schickt einen nagenden Satzfetzen los. Ich bleibe aufmerksam und versuche, nicht aufzuschrecken, nicht vollständig wach zu werden, damit Worte und Sinn nicht wieder entfliehen können.

Eine Frauenstimme mit einem nöselndem Vorwurf. Die Worte schon fast wieder weg, aber der Vorwurf bleibt. Es scheint, als gälte der Vorwurf mir. Darauf hin ein Reflex, der derart langsam aufblüht, dass er gut zu beobachten ist: Der Versuch, die Ungerechtigkeit, die in diesem Vorwurf steckt, wieder gut zu machen. Ich kenne ihn doch, diesen klagenden Tonfall mit seiner Beschreibung der Hilflosigkeit gegenüber der bösen Welt und einer Forderung nach Antwort. Und als könne ich irgendetwas dagegen tun, als hätte ich irgendeine besondere Kraft, die die Welt retten könnte, springe ich auf den Zug auf, zuhören, zureden, der Zug ist aber beladen mit Schuld, weil ich doch nicht helfen kann, nicht in diesem Fall und in keinem anderen, und ja, es ist die ängstliche Stimme aus vergangener Zeit, als ich vergeblich versuchte, stark zu sein, obwohl ich das Kind war und nicht sie.

Meine kindliche Schwäche ist aber jetzt nicht von Belang. Viel interessanter ist die Art, wie der Vorwurf so ganz ohne Umweg, so schnurstraks zu diesem meinem vergeblichen Dienstangebot gerinnt, als sei es eine mathematische Bedingung, dass beide zusammengehörten. Diese Stimmen (und die realen Menschen, für die diese Stimmen stehen, ja, erkenne sie genau) wissen das und nutzen das aus. Sie wissen genau, dass sich mein Mitgefühl so unmittelbar an ihr Leid koppelt, als wären beide eins.

Nur ich weiß es nicht. Zumindest weiß ich nicht, dass es nicht so sein muss. Das eine ist ihre Geschichte. Die andere ist meine Reaktion darauf und die sollte mir freistehen. Was sie aber nicht tut. Es ist wie der Pawlowsche Reflex, zeig mir dein Leid und ich fang an zu sabbern.

Mitgefühl entwickeln. In den buddhistischen Traditionen geht es darum. Ich habe mich immer gefragt und was mach ich dann mit all dem Mitgefühl? Obdachlose beherbergen? An fremden Krebsbetten sitzen und beten? Mein Erspartes spenden, das mich selbst durch magere Jahre bringen soll? Ich weiß es nicht.

Bloch, der Psychotherapeut aus dem Fernsehen, gespielt von Dieter Pfaff, erwiderte einem seiner Patienten Wir alle hatten eine schreckliche Kindheit. Das hat mir gefallen. Nüchtern und klar. Scheinbar leidenschaftslos. Ich schreib jetzt keine Liste, werde nicht sentimental oder wütend, aber ich erinnere mich, dass mein Mitgefühl ausgenutzt wurde. Mitgefühl ist kindlich, lieb und unschuldig. Es wurde oft benutzt, ohne dass ich den Missbrauch hätte durchschauen können.

Ein Kind muss nicht stärker sein als die Erwachsenen, aber aus irgendeinem Grund fühlte ich mich heimlich stärker und besser gewappnet als sie. Ich hatte einen anderen Blick auf die Dinge, schon immer, ich schaute auf sie herab, obwohl sie mir ständig Angst machten. Denn ich besaß etwas, das mich unsterblich machte.

Ich besaß die Ewigkeit.
17. März 2013

Welches Wetter, welche Jahreszeit

Jetzt hat es doch wieder geschneit. An ähnliche Winter kann ich mich nicht erinnern. Nicht, dass es sie nicht gegeben hätte. Aber ich weiß nie, wie die Jahreszeiten der letzten Jahre waren. Kannst du dich noch an den Frühling vor einem Jahr erinnern? Nein. Vor einem Jahr war ich in Indien, erst war es kühl und man benötigte Jacken und später war es schon heißer und erstmalig die lärmende Aircon an. Und im Sommer war ich sehr oft draußen schwimmen, also war das Wetter sicherlich angenehm. Der Rest hat nicht viel mit Wetter zu tun.

Herausragend zum Beispiel der Sommer, in dem die WM stattfand. Es war wahnsinnig heiß und S. aus dem Vorderhaus brachte seinen Großbildschirm in den Garten und wir schauten gemeinsam die wichtigsten Spiele. Jeder der Nachbarn brachte kühle Getränke oder Obst mit, hauptsächlich Melonen aller Art, die waren das einzig Essbare bei der Hitze. Ich hatte eine Romanze mit S., wir teilten Frühstück und Abendbrot, morgens machte er Milchkaffee, nachdem ich von oben runter rief, dass ich gleich käme mit dem ayurvedischen Grießbrei, den er sich wünschte, am Abend bereitete er kleine überbackene Ziegenkäse, Salat und reichte Biere. Es war ein bisschen wie wohlwollend verheiratet sein und füreinander sorgen, aber ohne bedeutende Verliebtheit.

Oder die Frühsommerwoche in Helsinki bei dem finnischen Freund. Wir lagen lange am Strand und es war heißer als daheim in Deutschland. Ich nahm damals Johanniskraut, das macht lichtempfindlich, und bekam auf der rechten, der Sonne zugewandten Wange einen großen Fleck ungleichmäßiger Bräune, die das ganze Jahr nicht verblasste.

Welcher Winter? Als der Maschsee zugefroren war, das ist er allerdings öfter. Die wärmsten Kleidungsstücke waren die Motorradhosen mit Medima Wollunterhosen, Bergschuhen und mehreren Pullis, Jacken und Mänteln, Unbeweglichkeit über Wochen. Meine Schwester hatte diesen schrecklichen Freund, der dauernd ihren damals noch kleinen Sohn beschimpfte, und ich konnte nichts machen, denn der Mann machte mir Angst. Während eines Urlaubs in den Dünen warf er ein Gartentor nach ihr. Danach war gottseidank Schluss. Er arbeitete als Aufseher im Knast und später war er im Knast und wurde beaufsichtigt.

Und ein Herbst? Ich mit der XT 250 nach Köln auf der Bundesstraße, bei schönstem und sanftestem Wetter. 350 km, ich brauchte acht Stunden, die XT machte höchstens 105 km/h, und ich schaffte es nicht, auf den zweispurigen Abschnitten LKWs zu überholen, die 90 fuhren. Auf der Rückfahrt brauchte ich sieben Stunden, hab mir keine Pause gegönnt, außerdem brannte die Sonne auf die lederbehosten Oberschenkel.

Und der Winter Ende Februar, als ich nach sechs Monaten aus Hong Kong zurück kam. Es war der erste Sonnentag in Deutschland nach einem harten Winter und bis zum Spätsommer sollte es nicht mehr regnen noch Wolken überhaupt geben.

Die vielen Frühlinge und Herbste, in denen wir Kinder bei noch tiefer Sonne Rollschuh fuhren, entsprechend lange Schatten warfen wir. Die eineinhalb Jahre nach meinem Studium, morgens von vier bis sechs Zeitung austragen und nie hat es in der Zeit geregnet. Glück in leeren Straßen beleitet vom Geruch frischer Druckerschwärze. Reise mit T. nach Italien im Oktober. Kein Schnee in den Alpen und wir mit offenem Dach im Fiat Barchetta über den Brenner.

Die anderen Wetter verschwimmen. Motorrad fahren mit T. im Gewitter, von Blitzen umzuckt, so kam es mir vor. Rodeln im Park über Todeshuckel und durch Todeskurve. Schnee essen. Als ich klein war, nahm ich das Wetter, wie es kam, da gab es noch keine Sehnsucht nach anderen, vermeintlich schöneren Jahreszeiten. Wenn der Schnee taute, habe ich nicht verstanden, wieso das Rodeln nicht mehr ging, auf der Matsche, wo später dichtes Gras wachsen würde, in dem wir uns verstecken konnten.
architektur
Mittagsspaziergang an architektonischen Scheußlichkeiten

Ja. Vielleicht werde ich mich an den heutigen Spaziergang mit der Buddhistin erinnern, der uns durch's Viertel führt, wir beide schweigend, als hätten wir uns abgesprochen. Vielleicht wird dies aber auch der Winter sein, in dem ich oft glücklich war, indem ich viel geschrieben habe, weißt du noch, Mitte März noch richtig Schnee oder in dem ich lernte mich zu lieben. Oder ein Winter von vielen, auf dem Weg, weiterhin, so wie alle auf dem Weg sind zu sich, sommers und winters.
16. März 2013

Weltensog

schmelze
Schneeschmelze

Anscheinend muss das so rythmisch gehen. Großartiges in-der-Welt-Sein gefolgt von stillem Rückzug. Die Welt fängt immer unweigerlich an zu nerven, Papst hier, Katja Riemann da, das ist ja alles nichts für die Ewigkeit, selbst die eigene Persönlichkeitsstruktur, aus der man herausschaut wie aus einem Pulli, der irgendwann unansehnlich wird. Da kann man froh sein, wenn der zerlöchert sich auflöst, und derart, fast nackt, ist dann wieder alles erträglicher.
12. März 2013

Feierabend

Mit der Bürokollegin aka Raumteilerin bei diesem kleinen In-Italiener bei mir um die Ecke, in den sich sämtliche Bewohner des Stadtteils allabendlich quetschen, ich muss sagen, zu Recht, denn der Mann ist ausnehmend nett, läd uns mit großer Geste an den Tisch, obwohl wir nur ein kleines Bier zischen wollen und es gibt schmackhafte Vorspeisen. Anstoßen auf unseren ersten Auftritt als Verlag. Waren wir professionell und überzeugend genug, haben wir die Fragen des Kunden beantworten können, ist unser Angebot angemessen, verdienen wir genug an diesem Projekt.

Wir sind sehr zufrieden mit uns. Ab der Mitte des Bieres werden wir beinahe rührselig und gestehen uns wieder einmal, wie gerne wir zusammen arbeiten und wie gut es uns auf dem Gelände geht. Kein Busenfreundinnengetue à la Pupsi, sondern Offenheit, Ehrlichkeit und so. Dass G. und S. ebenfalls einen Verlag gegründet haben, schneiden wir auch nochmal an, allerdings haben wir ihnen Entscheidendes voraus, nämlich Inhalte und Kreativität. Wir holen auch noch zu anderen glorreichen Eigenschaften aus, ja, wir gönnen es uns mal so richtig, uns gegenseitig zu loben und stolz zu sein. Mit Bier geht das ganz gut, realistisch ist es trotzdem. Wir wollen schöne Bücher machen und dies ist ein Anfang.

Noch einen Averna vom Chef und dann nach Hause.

Kurze Liste von Ereignissen

  1. Philosophische Unstimmigkeit mit der Buddhistin um Gedankenkontrolle. Dabei Ingwerbonbons gelutscht.
  2. Die Leserin und ich beschließen, im April nach Marbach zu reisen, um zu sehen, wo mein Weblog archiviert wird.
  3. Nach dem Gespräch mit der Lieblingschefin ein nagendes Gefühl von Schuld zurückbehalten. Mein Kostenvoranschlag war deutlich zu hoch. War eh angepisst über das voreilige Scribble von A. Wir beide sind wie Kinder, die alles selbst machen wollen.
  4. Die Bürokollegin, mit der ich einen Raum auf dem Gelände teile, möchte hier gern Raumteilerin genannt werden. Ich lehne das ab.
  5. Ich habe den Überblick über Mamas Steuerangelegenheiten verloren. Verstehe nicht, wieso Rentner überhaupt Steuern zahlen müssen. Und dann noch nachträglich von 2005-2008. So lange hebe ich keine Handwerkerrechnungen auf. Abzocke.
  6. Ganz schrecklich von der Ex-Firma geträumt, wildes Aufbegehren gegen die patriarchischen Strukturen. Im Traum allerdings ein absolut entzückendes Produktdesign mit gehäkeltem Netz aus bunten Plastikschnüren. Muss ich unbedingt in echt machen.
  7. Draußen auf dem Gelände tiefe Matsche. Drinnen im Herzen Wohlsein.
10. März 2013

Lügen haben knackige Ärsche

Mit der Busenfreundin bin ich zweimal zum Familienstellen gegangen. Familienaufstellungen sind ja diese seltsamen Events, wo wildfremde Leute plötzlich die Rollen von Familienangehörigen übernehmen und Wahrheit sprechen bzw. Lügen entlarven und generationenalte Geheimnisse aufdecken. Ich nahm als Stellvertreterin teil. Das ganze ist ungefähr drei Jahre her und ich kann mich nicht mehr so genau erinnern, aber eine meiner Rollen wurde mir wieder sehr präsent, als ich im letzten Text über das Lügen bzw. das Belogenwerden schrieb.

Wer welche Rolle in dieser Aufstellung innehatte, weiß ich nicht mehr genau, ich war jedenfalls eines von mehreren Geschwistern. Langsam fanden wir in unsere Rollen, da gab es Sympathien, Gleichgültigkeiten und spontane Ablehnungen – es ist wirklich ein Wunder, wie jenes sich Auftun von Gefühlsbeziehungen funktioniert. Dieses Szenario jedenfalls war langwierig und schwierig. Wir wechselten oft die Positionen und es kam mehrmals zum Stocken des Prozesses. Irgendwann aber hatten wir es.

Es ist nicht einfach zu beschreiben. Eine Weile fanden da Behauptungen statt von Personen, die sich eher peripher verhielten und vertrauenswürdig erschienen, der Vater, die Mutter, alles liebe Leute. Gut, von diesen ging also das Böse, dem wir auf der Spur waren, nicht aus, dann unterhalten wir uns mal mit jenen. Ich hatte mich neben eine Person gestellt, die mir sehr viel bedeutete, wir flogen nur so aufeinander zu, während des ersten Beieinanderstehens, eine große geschwisterliche Liebe band uns geheimnnisvoll. Noch war nicht klar, woraus dieses Band bestehen könnte.

Ich befand mich etwas schräg hinter meinem Geschwister, wir hielten uns an den Händen, und fast alle anderen Personen uns gegenüber, etwa fünf, wie eine Mauer. Während die Leiterin mit einer dieser anfangs unauffälligen Person zu sprechen, sie auszufragen begann, wurde mir zunehmend mulmiger. Irgendwas war mit diesem Mann, ich hatte im Laufe der langen Szenen vergessen, als wer er aufgestellt war. Beide redeten weiter und ich bekam Angst – eine echte körperliche Angst, die vom Sonnengeflecht ausstrahlte, äußerst unangenehm. Ich stellte mich hinter mein Geschwister, als könne es mich verbergen. Während die Leiterin die Person weiter befragte, stieg meine Angst immer mehr, sodass ich versuchte, mich komplett zu verstecken, indem ich mich duckte und mein Gesicht zwischen den Schulterblättern meines Geschwisters verbarg. Dann kulminierte das Geschehen, es ging ein Raunen durch die Gruppe wie eine erste Ahnung, was das Schreckliche sein könnte und gleichzeitig fing ich fürchterlich an zu weinen, meine Tränen durchnässten den Rücken meiner Schwester, hinter der ich nun vollends versank und mit ein paar weiteren Fragen und Antworten der Leiterin wurde das schreckliche Geheimnis, das mich mit diesen Personen verband, aufgedeckt. Es kam endlich alles raus. Ich weinte weiter, sollte dann hervorkommen und mich der Person gegenüberstellen, aber ich konnte nicht, ich schrie regelrecht vor Angst und man hatte seine Mühe mich zu beruhigen. Ich ging dann Schrift für Schritt, und das dauerte.

Zwischen diesen Personen ging es um sexuellen Missbrauch, es war der Vater, dem ich zu Diensten war, damit er meine kleine Schwester verschonen möge. Unsere Mutter hatte von all dem gewusst und uns aber nicht beschützt, warum, weiß ich nicht mehr. Sie war genauso Täterin.

Das war alles sehr echt. Die Gefühle waren echt, die Angst war dramatisch, die Liebe zu meiner Schwester so deutlich und rein – habe ich im echten Leben jemals so geliebt? Die dauernde Demütigung, das Verstecken, das Belogensein, die Missachtung – hier in der Erzählung sind es nur Worte, worunter jeder Eigenes versteht, aber dort war alles so brutal fassbar, dass ich glaubte, mich nie wieder davon erholen zu können.

Im weiteren Verlauf wurde die Szene behutsam aufgelöst, wir stellten uns den missbrauchenden Eltern, dröselten die Gründe auf und das Schicksal, das hinter unserer Geschichte stand, und lernten langsam zu verzeihen.

Als die Buddhistin sagte, wir suchen immer das, was wir schon kennen, habe ich mich an den grausamen Gefühlstaumel während der Aufstellung erinnert und wie die Erwachsenen dicht hielten gegen uns Kinder. Deshalb erzähl ich's. Eine Wiederholung von und die Sucht nach Situationen, die starke Gefühle auslösen, ohne zu verstehen, dass sie nicht gut tun, nicht kleinen Mädchen und Jungs und auch nicht Menschen, die sich erwachsen glauben. Lieb sein, um sich vor der Missachtung der Erwachsenen zu schützen und sich damit selbst belügen. Wie soll ein Kind die Welt auch klar sehen, wenn es in Strukturen aufwächst, die Liebes vernebeln und verneinen und seinen natürlichen Gerechtigkeitssinn für lange Zeit zerstören.

Nur langsam kommt die Wahrheit wieder zurück. Mir kommt es so vor, als sei ich als Kind näher dran gewesen. Ich habe innerlich eine Liste angelegt mit Lügnern und Leuten, die immer die Wahrheit sagen. Gestern gab es passend einen Themenabend, ich habe aber nicht alles gesehen, und fand es billig zu erörtern, ob ein vorgespielter Orgasmus eine Lüge ist. Hier geht es um ganz andere Lügen. Die, welche sich durch Generationen ziehen oder die von einflussreichen Teilnehmern der Gesellschaft verbreitet werden. Lügen, die ganze Völker unterdrücken, die krank und verzweifelt machen und Menschen am glücklichsein hindern.

Meine Liste beschränkt sich auf Familie, Freunde und Bekannte. Es ist deutlich geworden, dass ich mit denen die lügen oft streite, die Häufigkeit und Intensität des Streits scheint mir wie ein Größenmaß für Lüge zu sein. Sofort setzt Widerstand ein, der zu Streit führt, ohne dass ich fähig wäre, die Lüge direkt aufzuspüren. Lüge ist glatt, schlüpft überall durch und hinein, ich möchte mich bemühen, auf mein Herz zu hören, das ist ja da, mit seinen Stichen und seinem Brennen.

Das 'Gelände' bietet halbwegs reuelose und teils einfallsreich bebilderte Texte, nach uraltem Rezept geschrieben, gesammelt, im Zeitstrahl gebannt und von aufständischen Dadaisten in letzter Sekunde gut geheißen.

Hier kommt ein Bild:

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