16. Oktober 2012

Aufständische Dadaisten

In der Fremde ist alles schöner. Das Auge bewegt sich forwährend. Auf der Suche nach nie Gesehenem, nach morbider Farbigkeit und erstaunlicher Form, die Kamera ebenfalls stets offen, wachsen Neugier und Sammelleidenschaft. Ein einfacher Spaziergang gerät zum aufgeregten Stop and Go, Hin und Her, Auf und Ab, drumherum um jedes Dings, das rumliegt, jede Mülltüte ein Ereignis, nur ja nicht den Blick in die Public Toilet um die Ecke vergessen, dort der Wet Market, Orangen, Auberginen, Blattgemüse, den Fisch, das Fleisch, hinten das Meer, vorne drängeln Menschen in bunter Kleidung, mandelförmige Augen, ach wie schön, und dort der Sonnenuntergang, die Sprache, der Straßenlärm, Hitze, stickige Luft, oh, und das Essen, köstlich, jetzt nochmal eben in den Laden Andenken kaufen, rote Lampions, Skizzenbücher, Mobiltelefonanhänger. Alles zum Staunen, erregend anders, ich war auch da. Toll.
um-die-Ecke
Und zu Hause sieht es dann doch bloß wieder nur so aus.
10. Oktober 2012

Dreimal schöne Beine

Gibt es nicht eine Gattung des Schriftstellerischen, die 'automatisches Schreiben' heißt? Man setzt sich hin und schreibt einfach Sätze, die einem einfallen, die sozusagen durch's Bewusstsein huschen. Wohin setzt man sich dazu? An den Tisch, auf dem ein Blatt und ein Stift liegen? Oder gleich direkt an den Rechner, hoffentlich muss es nicht Word sein, reicht auch TextEdit – ich denke ja.

Ohne besonders stolz darauf zu sein, möchte ich mich als Sinnsucherin erster Stunde bezeichnen. Man bekommt sowas mit, das ist ja keine Krankheit. Von der Unendlichkeit aus gesehen, schließt sich dieses Leben einfach an ein anderes an wie ein passender Dominostein. Dazwischen ist kein Atem, während es Lebens hingegen jede Menge Atemzüge. Den Körper gut versorgen. Den Geist, der am Körper klebt auf diese unnachahmlich schrecklich-schöne Weise.

Der Exmitbewohner, der mit dem Stent in einer wichtigen Ader, pflegte zu sagen, lieber wolle er sterben, als aus gesundheitlichen Erwägungen seine Nahrung umzustellen. Irgendwie ist das sehr lustig je länger ich darüber nachdenke. Dabei hat er das gar nicht als Witz gemeint, so wie sonst. Die Angelegenheit mit dem Stent jedenfalls nimmt er sehr ernst.

Draußen ist es oft laut. Im Gebäudeteil nebenan, der zu einer ehemals berühmten Fabrik gehört, wird noch gebaut, vorher wurde entkernt bis aufs Metallgerüst. Dort sollen hippe Wohn-Lofts entstehen, während wir hier in soeben fertig gestellten 'Kreativbüros' sitzen, um 'kreativ' zu sein. In den 90ern gab es hippe Technoparties zu feiern, irgendwo dort in einem der Keller. Es wird also an eine gewisse Hippness angeknüpft. Die Metallkonstruktion in einem weiteren Gebäudeabschnitt hingegen liegt noch frei mit rostig-roten Spuren, wie abgenagte Rippen. Zwei Arbeiter gehen gerade im ersten Stock umher und besprechen sich.
Gebaeudekonstruktion-aus-Metall

Ich krieg jetzt leider nicht den erzählerischen Dreh zu dieser eigentlich sehr transzendenten Erfahrung hin, deren Teile diese Erzählung zusammenbringen soll. Ich möchte sagen, wie untrennbar wir mit dem, was wir essen, mit dem, was wir betrachten, mit den Sätzen, die wir sprechen und mit der Stimmung und der Zeit um uns herum konstruiert und verwurstelt sind. Gut dazu passt auch dies:
wuerste
Anna Maria Maiolino auf der d13
Krempel-auf-dem-Gelaende
Krempel auf dem Gelände
9. Oktober 2012

Sieben Jahre im Zeitraffer

Ich bin jetzt durch mit der Esoterik.

Es ist verlockend, diesen Satz so stehen zu lassen. Das mach ich jetzt mal und schaue, ob ich ein anderes Mal ausführlich dazu schreibe.
30. September 2012

Der Mann im Mond

Also ist der Esoteriker gestern Nacht nicht gestorben. Ist wohl auch nicht sein Dharma, sich einfach so davon schleichen zu können. Nur falls etwas schief läuft, dann klingel ich dreimal. Beinahe bettelt er. Um dich dann zu retten, oder was, frage ich, nee, ich stöpsel das Telefon aus, da musst du allein durch. Wir sprachen wieder mal übers Kümmern und Bewusstseinserweiterung. Ich diese, er jene. Mir ist klar geworden, dass er mein Kümmern schamlos ausnutzt. Natürlich hab ich ihn lieb, aber ich möchte keinen Partner haben, der Drogen nimmt. Bei der labilen Konstitution, mit Bluthochdruck und allem. Seiner. Meine Konstitution ist Nebensache.

Viel Energie ist bei drauf gegangen, Männer aus ihrer Unordnung zu befreien. Es jedenfalls zu versuchen. Allerdings ungefragt. Das sagt auch B., die ich in ihrem im dauerprovisorischen Schrebergarten besuche, um ein paar Fotos zu machen und nicht daheim zu sein, wenn der Esoteriker anruft. Dessen Klingeln ich sowieso nicht hören werde, weil das Telefon immer noch off ist.

Den mir eigenen Kümmerzwang herauszufinden, ist Verdienst des Esoterikers, der im übrigen ein Meister der Worthülse ist. Und ungefragt kümmern ist eine Spezialität, möglicherweise nicht nur meine. Das kommt von der übertriebenen Identifikation mit dem schrecklichen Leben anderer. Wenn das bei mir so aussehen würde, ohgott, dann hätte ich schon längst… usw., ist die Idee, die alles noch viel schlimmer macht. Als gäbe es nichts eigenes mehr, das ich zu bedenken hätte. Das Verrückte ist, dass er mein Kümmern genießt, welches eigentlich ein Hindernis darstellt. Er sagt es tatsächlich – ich mag, wenn du dich um mich kümmerst, also, subtiler, wenn du mich mit Kümmern bedenkst. Dann wieder stellt er fest, dass ja mein Kümmern heilsam ist, doch, in mir würde eine große Heilerin schlummern. Schlummern, denke ich. Sie ist im Tiefschlaf! Die Aufgaben sind viel zu groß! Ich werde nicht die Welt retten wollen, machen wir uns nichts vor. Der Blick gehört gefälligst auf's Schöne gerichtet!
das-schoene-Bild
Das schöne Blumenbild.
29. September 2012

Was macht man mit acht winzigen Oliven?

Auf dem Fensterbrett wird es Herbst. Das Fensterbrettgeschehen scheint ja eine meiner Lieblingsbetrachtungen zu sein. Dort passiert nichts Wildes, kein Urwald, wenig Unkraut, ein paar Tiere. Das Spinnennetz wurde nach einem Sturmschaden weiter links zwischen Ringelblume und Regenrinne neu gewebt, im Hochsommer nistete eine Blattschneiderbiene und es gibt Käfer, weitere Bienen, Wespen, dicke bunte Fliegen und Marienkäfer der bösen eingeschleppten Art.

Es ist angenehm, wenn die täglichen Gedanken sich auf wenige Inhalte konzentrieren. Mit der Buddhistin teile ich die Übungserfahrung, Gedanken zu beobachten und sie wie Wolken vorüberziehen zu lassen, ohne sich mit ihnen zu identifizieren. Wo kommen Gedanken her, warum sind es diese und nicht jene, warum denkst du deine und ich meine. Als sie und ich mitten auf dem Bürgersteig stehen, den eiligen Marktbesuchern im Wege, erlebe ich die Zeile 'die Gedanken sind frei' völlig neu. Die Gedanken sind wirklich frei, aber wir fangen sie immer wieder ein und erlauben ihnen, an uns kleben zu bleiben. Ein passives Geschehenlassen ist das nicht gerade, sondern eine aktive Einladung: Kommt her und klebt. Bleibt! Raubt uns den Schlaf und die Nerven, macht euch breit wie Kaugummi unter den Schuhen, wie Damen, die im Weg stehen und seltsames Gedankengut bequatschen.

acht-Oliven1

Am Olivenbäumchen wachsen jedenfalls acht pfefferkörnerkleine Olivchen. Vor einer Viertelstunde schien dort noch die Sonne, jetzt drängen Windböen und ungemütliche Wolken, das Fenster zu schließen.
27. September 2012

Lass uns über Krankheiten reden

Das Wasser durchziehe ich mit langem Atem, hinter den großen Fenstern wechselt das Wetter, Sonnenstrahlen, glitzernde Wellen. Ich denke an T., der schon mit 48 einen Stent irgendwo in den Adern hat, oder M., die sich alkoholisch vernebeltet an einem Eisenzaun den linken Ringfinger aufgerissen hat, der jetzt dramatisch und hässlich schwarz verheilt und wahrscheinlich nicht mehr richtig zu benutzen ist. Wehe Gedanken beim Schwimmen. Dankbarkeit, dass mein Körper so gesund ist. Bewegungsfreudig. Genüsslich.

Immer noch glotze ich mich durch die sechs Staffeln 'Dexter', die mit dem Serienmörder, dem vielen Blut und appen Körperteilen. Die Schuldgefühle sind fast verschwunden, mit dem Effekt, dass auch gleichzeitig die Schuldgefühle, die mich betreffen, gelindert werden. Die Themen, an denen ich kranke, der Ballast, der mich irritiert – da ist plötzlich ein ganz anderes Verständnis für das Menschsein. Menschsein ist so! So wie der Körper aus allen Elementen der Erde gemacht ist, so ist das Wesen des Menschen einfach 'so'.

Es sind ein paar friedliche Wochen vergangen. Das Leben ist einfach und die Wünsche an es sind gering. Eine Stille. Noch am Anfang des Jahres bis in den Sommer hinein war es aufregend, der Esoteriker hat mich aufgeregt mit seinen Themen, den Gesprächen, mit seinem So-Sein. Ich wollte vieles annehmen, da war noch ein Drang zu gefallen, der ist jetzt kaum mehr spürbar. Die Gefallsucht ist fort. Sie steckte wie eine aufputschende Krankheit in allen Körperteilen. Eine Art Jagdfieber. Lieb mich, oder ich verlass dich. Oder umgekehrt. Der Tontechniker mein Lieblingsjagdziel. Ein bisschen immer noch nach so langer Zeit. Aber darüber ist schon ein Lächeln zu spüren. Mädchenhaft.
20. September 2012

Day Of Forgiveness

Der Esoteriker hat mir ja esoterischerweise diese geschliffenen Glasdinger aus Swarovski zum Geburtstag geschenkt. Davon hängen nun drei kleine und ein großer im Fenster und wenn die Sonne scheint und ein Lüftlein weht, machen sie kleine Regenbogenelfchen, wie er sagt. Und wie! Die bunten Dinger fliegen überall rum, das sieht verdammt hübsch aus.

Das neue Sofa ist auch sowas. Hier verbringe ich meine komplette Freizeit und manchmal sogar die Nächte. Freizeit ist jetzt, vor der Arbeit. Ein Tablett mit dem Frühstück, ein braunes dickes Schafsfell und überall Regenbogenelfchen. Die Haschpflanzen müssten jetzt auch soweit sein. Auf der Fensterbank hat die Kapuzinerkresse nochmal Blüten nachgelegt, die acht winzigen Oliven bekommen ein bisschen Farbe, die Ringelblume ist verblüht, das Johanniskraut belaubt sich bunt und vom Salbei gibt es bald wieder Pasta mit Salbeibutter. Mit noch mehr Salbei.

Ich zappe zwischen Yoga-Philosophie und Popmusikreviews, meditativer Ruhe und Garagen-Rock-Geschrebbel auf YouTube. Vielleicht noch eine Folge mit 'Dexter', dem Massenmörder von Miami. Nach eineinhalb Staffeln innerhalb von drei Tagen fühle ich mich halbwegs mitschuldig an Dexters blutigen Verbrechen. Mehr als 30 Morde. Vorgestern noch kurz im Bioladen ein Croissant, Ziegenkäse und Brausebonbons erworben. Ich beobachte mich dabei, wie ich mich, als hätte ich etwas zu verbergen, mit geschmeidiger Unauffälligkeit zwischen den Regalen bewege und small-talk mit den Damen am Tresen halte. Launigkeit. Die Schultern leicht eingezogen, das Lächeln zu breit, als wartete ich auf den Blick, der mich entlarvt und die Hand, die mich packt.

Wahrscheinlich wird man mich wegen unkontrollierten Verzehrs von Brausebonbons überführen.

Swamiji schreibt passend. Dass heute der jährliche Tag der Vergebung sei. Und schickt folgendes Mantra:

I forgive all living beings, may all of them forgive me,
I have friendship with all, enmity with none.
Thus, I truly reflect, reproach, censure and abhor (my wrong doings)
I atone threefold (for my acts of mind, speech and body) and pay obeisance to the 24 Jinas (Founding Masters of Jaina Tradition).

Das 'Gelände' bietet halbwegs reuelose und teils einfallsreich bebilderte Texte, nach uraltem Rezept geschrieben, gesammelt, im Zeitstrahl gebannt und von aufständischen Dadaisten in letzter Sekunde gut geheißen.

Hier kommt ein Bild:

Trevalga

Archiv

April 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

nö - habe noch nicht...
nö - habe noch nicht gesucht. einfacher wäre es, wenn...
bonanzaMARGOT - 11. April, 15:31
Und?
Schon gefunden?
keinekrabbe - 11. April, 12:26
alles gute für den umzug...
alles gute für den umzug nach blogger.de.
bonanzaMARGOT - 9. April, 15:12
Osterumzug
Es ist also so weit: Ich ziehe zu blogger.de und schreibe...
keinekrabbe - 30. März, 09:44
Das ist ja fast das Gleiche!
Das ist ja fast das Gleiche!
montez - 29. März, 16:33

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Status

Online seit 4601 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 11. April, 15:31

Suche

 

Credits